Ich war ein Pflegekind und Halbwaise
Halbwaise, weil meine Mutter 18 Tage nach meiner Geburt verstarb. Mein Vater kam als Soldat in englische Kriegsgefangenschaft nach London und blieb nach Kriegsende dort. Er lernte seine zweite Frau kennen und heiratete und zog mit ihr ihren Sohn groß.
Ich war Pflegetochter von meiner Großtante, die auch mein, von der Fürsorge bzw Jugendamt, durch Amtsgericht bescheinigte Bestallung, für mich eingesetzter Vormund war. Ich hatte also auch eine verwandschaftliche Beziehung zu meinen Pflegeeltern. Mein Pflegevater war mein Großonkel väterlicher seit.
Ich bin nur erstaunt, daß die Bestallung zum Kindes-Vormund erst am 9. Febr. 1955 ausgestellt wurde. Da war ich 9 Jahre und wurde erst im Juli 10 Jahre.
Als Pflegekind bekam meine Pflegemutti für mich eine Halbwaisenrente von 45.-Mark monatl. und eine Bezuschußung von Kleidung, von der Fürsorge/Jugendamt.
So bekam sie für mich einmal im Jahr Bezugsscheine in einem entsprechendem, mir zustehendem Geldwert, für z. Bsp. Mantel, Kleid, Jacke oder Rock oder 1 Paar Schuhe, die dann nur bezirksgebunden in den Konsum-Geschäften eingelößt werden konnten.
Meine Pflegeeltern zahlten oftmals zu, um mir meine Kleidung zu kaufen, die mir gefiel. Nur über Bezugscheine wären meine Anziehsachen nur sehr dürftig ausgefallen und so Kauften meine Pflegeeltern noch so einiges dazu.
Ich sollte auf Bezugsschein in einem Warenwert von -weis nicht mehr- einen Wintermantel bekommen, aber mir gefiel in diesem Bekleidungsladen ein sehr schickes Winterkostüm mit Krimmer-Kragen und aus Kamelhaar-Wollstoff gefertigt. Es war auch nicht billig.
Die Verkäuferin sagte zur Mutter, daß es doch auch ein anderes, billigeres Winterkostüm sein könnte, wenn überhaupt, denn ich sei doch nur die Pflegetochter. Ich hörte das auch. War 15 Jahre alt und sah meine Mutter an und die erwiderte zur Verkäuferin sehr schroff, daß ihre Tochter auch als Pflegekind nicht schlechter angezogen sein darf, als eigene Kinder.
Natürlich bekam ich das Winterkostüm, nachdem meine Mutter mit dem Jugendamt Rücksprache hielt, daß wir im Geschäft den Bezugsschein vom Wintermantel auf das Winterkostüm umschreiben und den erhöhten Betrag dazubezahlen.
Als Halbwaise bekamen meine Pflegeeltern für meine Schulausbildung in der 9. und 10. Klasse einen Lernzuschuß monatl. von 70 .- Mark. In der gesamten Schulzeit war ich kostenlose Mittagessenteilnehmerin. Zur großen Pause wurde in unserer Schule zum Essenkellergang im Schulgebäudeflur an der Treppe angestellt und die Freiesser mußten immer vorne sein.
8 Kommentare zu “Ich war ein Pflegekind und Halbwaise”
Schon komisch, wenn man so zurückdenkt, und dabei feststellt wie wenig man doch eigentlich hatte und wie gut es einem trotzdem ging – nur weil man Menschen hatte, die einen liebten. 🙂
Liebe Brigitte,
auch wenn ich zurückdenke, so war man „damals“ zufriedener. Du hast Glück gehabt, daß Deine Pflegeeltern Dich so liebevoll großgezogen haben.
Du hattest eine schöne Kinder- und Jugendzeit. Dafür kannst Du dankbar sein.
Liebe Abendgrüße sendet Dir
Irmi
Liebe Brigitte!
Du hattest eine gute Jugendzeit, weil Dich Deine Pflegeeltern sehr geliebt hatten.
Lieben Gruß
Lemmie
Liebe Brigitte,
daß du eine so schöne Kindheit hattest, mit liebevollen Eltern, ist ganz wunderbar. Deine Mutti hat zu dir gestanden und dich gegen diese herzlosen Worte der Verkäuferin in Schutz genommen ..ein schönes Liebesbekenntnis 🙂 wie kann man aber auch nur so etwas sagen.
Ganz sicher hat man damals alles sehr geschätzt, was man bekommen hatte ..die Werte waren noch nicht so „inflationär“, wie leider oft heute in unserer „Überflußgesellschaft“.
Ich bewundere dein Erinnerungsvermögen und freue mich sehr, an deinen Erinnerungen teilhaben zu dürfen 🙂
Eine gute Nacht wünscht dir Ocean 🙂
Dieser Spruch der Verkäuferin macht mich sehr sehr wütend! 😈
Schön, dass deine Pflegemama dich so sehr lieb hatte. Heutzutage gibt es leider Pflegefamilien, die diese verantwortungsvolle Aufgabe nur des Geldes wegen übernehmen.
Danke für deine netten Kommentare der letzten Tage, bin hier nur kurz unterwegs.
LG aus Stetten a.H.
Ute
Hallo liebe Brigitte,
ich staune ja immer wieder, woran du dich noch so erinnern kannst.
Waise oder Halbwaise zu sein, ist alles andere als schön, aber offensichtlich bist du ja bei sehr lieben Pflegeeltern gelandet. Der Satz dieser Verkäuferin ist wirklich schlimm, aber ich denke mir, dass es solche Ansichten auch heute noch gibt.
Herzliche Grüße und danke, dass du uns immer an deinen Erinnerungen teilnehmen lässt.
Liebe Brigitte,
ich habe mit Interesse Deine beiden neuen Geschichten gelesen. Schlimm, dass Du gerade bei Deiner Jugendweihe diesen Nesselauschlag hattest. Aber das Zusammensein und der große Tag haben Dich sicher wenigstens ein bisschen darüber hinweg geholfen.
Dass Du solch liebe Pflegeeltern hattest, darin hattest Du wirklich ein großes Glück, das andere nicht mal mit ihren „normalen“ Eltern haben. Es ist schön, auf eine glückliche Jugend zurückschauen zu können! Ich freue mich schon auf eine neue Geschichte von Dir.
Dir schicke ich ganz liebe Grüße, alles Liebe, Irmgard
Liebe Brigitte,
Du hast so viel Liebe und Herzenswärme erfahren durch Deine Pflegeeltern – meine Hochachtung.
Deine Erinnerungen klingen immer wieder schön, ich lese sie gern.
Herzliche Grüße von Kerstin.
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